Rede des Ersten Bürgermeisters Maximilian Gaul zur Unterzeichnung der Partnerschaft Auzances–Roßtal

Unterzeichnung der Partnerschaft Auzances–Roßtal

Als ich in den 70er Jahren zum ersten Male etwas von der Regionalpartnerschaft zwischen der Haute Vienne und Mittelfranken hörte, und daß sich diese Partnerschaft auf das ganze Limousin ausdehnen sollte, war ich von der Idee begeistert. Als Nachkriegskind aufgewachsen, habe ich noch meinen Großvater im Ohr, der immer wieder betonte, einen wirklichen Frieden in Europa gibt es nur, wenn sich die beiden Erbfeinde Deutschland und Frankreich dauerhaft versöhnen. Als einfacher Arbeiter hatte mein Großvater "die Nase gestrichen voll", seinen Kopf in zwei Weltkriegen für eine unselige Politik hingehalten zu haben. Er wollte, daß es uns wirklich besser geht, er wollte dies nicht nur materiell, sondern vor allem auch im Hinblick auf ein friedvolles Miteinander verstanden haben. Begeistert war ich, als ich hörte, daß symbolisch die Schlagbäume zwischen unseren beiden Staaten von jungen Menschen beiseite geschafft wurden, froh war ich, daß es zu einer Versöhnung zwischen durch die beiden Staatsmännern Staatspräsident General de Gaulle und Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer kam, daß ein deutsch-französisches Jugendabkommen geschaffen wurde.

So war es für mich eine Selbstverständlichkeit, daß ich bald zu Beginn meiner Tätigkeit als Mitglied des Roßtaler Marktgemeinderates zusammen und unterstützt durch den heutigen Bezirksrat Richard Bartsch im Marktgemeinderat den Antrag eingebracht habe, Roßtal soll sich mit einer französischen Gemeinde verschwistern.

Wir brauchten dann immerhin bis zu meiner Amtszeit 1990, daß sich diese Idee kommunalpolitisch durchsetzen ließ. Natürlich hatten die allermeisten Roßtaler nichts gegen Frankreich und gegen die Franzosen, viele waren vom Urlaub in Frankreich begeistert. Aber wie sollte eine Partnerschaft funktionieren, wenn man die Sprachprobleme betrachtet?

Für mich war dies ein wichtiges Problem, aber nicht unüberwindbar. Etwas nicht können, eine Sprache nicht beherrschen, kann ja eine reizvolle Herausforderung sein. Für viele von uns hier ist es auch zu einer Herausforderung geworden. Wir spüren, daß wir uns bemühen müssen, den anderen zu verstehen. Verständigen kann man sich auch über eine dritte Sprache, über Wörterbücher und dem Reden mit "Händen und Füßen", Verstehen aber kann man sich erst, wenn man sich bemüht, sich in die Sprache des Denkens des anderen hineinzubegeben. Das erfordert Zeit und auch ein bißchen Mut. Wir alle, Sie hier in Auzances und wir aus Roßtal, haben damit begonnen. Wir haben uns verständigt und beginnen uns zu verstehen.

Der Sinn einer kommunalen Partnerschaft liegt nicht in erster Linie in einem touristischen Zweck. Nur aus touristischen Gründen braucht man keine Kommunalpartnerschaft. Natürlich wollen wir auch von der Welt etwas sehen. Die Welt kennenlernen, heißt für viele heute in Deutschland, möglichst weite Fernreisen zu unternehmen und die touristischen Attraktionen aufzusuchen. Dabei kommt man nur ganz selten mit den Menschen vor Ort in Berührung. Und wenn, dann lernen diese nicht unsere Lebensart kennen, sondern nur die Lebensart des deutschen Urlaubers, der nicht immer den besten Eindruck hinterläßt. Wir lernen nicht wirklich ihre Lebensart kennen, sondern nur die, die uns die Tourismusindustrie vermitteln will. Die Welt kennenlernen heißt immer auch Menschen vor Ort mit ihrem Lebensstil, mit ihren Fragen und Sorgen, Freuden und Problemen kennenlernen. Das kann unsere Partnerschaft leisten und sie hat schon damit begonnen.

Worin liegt dann noch der Sinn einer solchen Partnerschaft 888 km voneinander entfernt?

Der erste Bundespräsident im Nachkriegsdeutschland, Prof. Theodor Heuss, hat einmal gesagt: Die Gemeinden sind wichtiger als der Staat. Aber schon weit vor ihm, hat der französische Staatsphilosoph Alexis de Tocqueville erkannt, daß "die Kraft der freien Völker in der Gemeinde ruht".

Gerade in einer politisch wie technologisch offenen Welt brauchen wir zwischenmenschliche Qualitäten, wie Kontakt vermitteln, Rat geben, Vertrauen entgegenbringen, Heimat bieten. Diese menschlichen Qualitäten werden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Wir können sie nur in unseren Gemeinden erfahren, wo sonst. Wir können sie aber auch in unsere Partnerschaft einbringen und zu einem Baustein Europas machen. Denn für ein gemeinsames Europa müssen die Länder auch menschlich und kulturell zusammenwachsen. Wir müssen bereit sein, Spannungen und Auseinandersetzungen der Vergangenheit, die zu zahlreichen Kriegswunden zwischen unseren Völkern geführt haben, ein für allemal zu beenden. Geduldiges Miteinander und das Bewußtsein der Verantwortung gegenüber der Geschichte können Versöhnung und Freundschaft dauerhaft schaffen. Wir sollten heute einer Welt, in der alles von "Globalisierung" spricht und in der die Kommunkationstechniken uns einreden, daß die ganze Welt heute nur noch ein einziges, globales Dorf ist, verstärkt uns wieder auf unsere Werte besinnen, die wir in unserer jeweiligen Heimat finden. Wir spüren dann, daß es Unterschiede gibt, daß es diese Unterschiede auch weiterhin in einem gemeinsamen Europa geben wird und auch geben muß. Wir wollen unsere Identität nicht verlieren. Dazu gehört unsere Sprache, dazu gehören unsere Sitten und Gebräuche, dazu gehören unsere Formen des Zusammenlebens und unsere Art zu leben. Um so wichtiger und zugleich auch spannender und interessanter ist es dann, den anderen in seiner Art zu begegnen und voneinander auch zu lernen. Einen kleinen, aber wichtigen Baustein dazu liefert unsere beginnende Partnerschaft zwischen unseren Kommunen Roßtal und Auzances. Denn die Kommunen sind und bleiben das Fundament für Europa. Wo denn sonst spielt sich das Leben ab, wenn nicht in unseren Kommunen, in unseren Dörfern und Städten. Alles, was für den Alltag des Bürgers entscheidend ist, erlebt dieser in seiner Kommune. Damit ist letztlich alle Politik Kommunalpolitik.

Und hier macht sich der eigentliche Sinn einer kommunalen Partnerschaft deutlich: wir müssen in einem gemeinsamen Europa die Gemeinden stärken. Dazu brauchen wir den Austausch und die gegenseitige Hilfe der Kommunalpolitiker, daß die kommunale Selbstverwaltung auf allen kommunalen Ebenen in diesem Europa geachtet und sogar noch gestärkt wird. Wir brauchen keinen allmächtigen europäischen, von Brüssel geleiteten Europabürokratismus, sondern lebendige Gemeinden, die sich als Gemeinden Europas verstehen, mit einer gesunden Struktur und mit einer guten finanziellen Ausstattung, damit unsere Bürger in Freiheit und Frieden und mit der Kraft aus ihrer Heimat in den Kommunen fähig sind an diesem gemeinsamen Haus demokratisch mitzuwirken und mitzugestalten. Aber für diese Überzeugungsarbeit brauchen wir internationale Verbündete, die wir auch in den Kommunalpartnerschaften zu finden hoffen.

Wir wollen und dürfen andererseits unsere beginnende Freundschaft auch nicht überfrachten. Wir müssen uns auf das besinnen, was wir können. Und wir erleben und erfahren hier in Auzances, nicht zum ersten Male, daß hier Tugenden gepflegt werden, die auch bei uns zu Hause geschätzt sind: ein reiches Leben in den Organisationen und Vereinen, in der sich viel ehrenamtlicher Idealismus zeigt, Gastfreundschaft in den Familien, Herzlichkeit und Offenheit bei vielen Menschen, die wir kennenlernen durften. Bereitschaft, Neues zu lernen und auch Neugierde aufeinander. Es sind Tugenden, auf denen sich der partnerschaftliche Beziehungen aufbauen lassen. Es sind Grundvoraussetzungen, daß man Lust aufeinander bekommt, sich besuchen will, neugierig auf einander bleibt und auch die Strapazen einer längeren Reise gern auf sich nimmt.

Laßt uns diese Partnerschaft, die wir begründen, pflegen in dem Bewußtsein, daß wir alle Europäer, dabei Franzosen oder Deutsche, Leute aus der Creuse oder Franken, Auzanceser oder Roßtaler sind, in erster Linie aber Menschen, von denen es nicht solche erster und zweiter Klasse gibt, sondern die sich nach Freiheit, nach Gleichheit und nach Brüderlichkeit sehnen.

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