Grußwort des 1. Bürgermeisters Maximilian Gaul

Maximilian Gaul mit Johanna Schlicker

Liebe Ehrengäste,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe festliche Versammlung,

 

die Welt hat sich verändert, ich meine unsere kleine Welt hier im mehr als tausendjährigen und traditionsreichen Markt Roßtal, seit der heutige Bezirksrat Richard Bartsch und ich in den 70er Jahren, angesteckt von der Begeisterung unseres damaligen JU-Vorsitzenden und heutigen Landtagsabgeordneten Günter Gabsteiger, dessen Frau Annie ja aus dem Limousin stammt, uns für eine Partnerschaft mit der Region Limousin in Frankreich sich einsetzte , auch damit in Roßtal eine europafreundliche Ausrichtung unserer Kommunalpolitik anregte.

 

Kein leichter Weg, denn Sprachenlernen war erst gegen Ende der 60er Jahre ein Thema in der Volksschule geworden. Bis zu diesem Zeitpunkt boten ja nur die weiterführenden Schulen eine Fremdsprache, allerdings zumeist Englisch, an.

 

Die Sprachbarriere wurde immer wieder angeführt, fast als unüberwindlich gesehen, um partnerschaftliche Beziehungen außerhalb des deutschsprachigen Raumes einzugehen.

 

Wir haben in unserem Markt Roßtal nach der Gebietsreform im Jahre 1978 viel getan, um unsere Mitbürger auf Europa, insbesondere innerhalb der späteren Europäischen Union, vorzubereiten. Ich denke dabei insbesondere an die Leistungen unserer Volkshochschule, unserer allgemeinen Schulen, aber auch an die Arbeit unserer politischen Parteien und Jugendorganisationen vor Ort.

Das vergangene 20. Jahrhundert war schon ein verrücktes Zeitalter. Europa war im ersten Teil des 20. Jahrhunderts überhaupt nicht vorstellbar. Die Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland, oder auch umgekehrt, wenn Sie so wollen, war das größte Problem für eine Zukunft der europäischen Idee auf dem Kontinent.

 

So gesehen ist ein Wunder geschehen. Denn es gab schon in der schrecklichen Kriegszeit des 1. und des 2. Weltkrieges, der leider von deutschem Boden ausging, Menschen in allen Nationen, die an einer Idee eines politisch geeinten Europas festhielten und daran arbeiteten. Um so mehr setzte sich diese Idee in den Köpfen der Nachkriegsgeneration fest. Viele Hindernisse in den Köpfen mussten dabei überwunden und weggeräumt werden.

 

Bundespräsident Rau hat bei seiner Rede nach seiner Wahl vor der Bundesversammlung gesagt: "Es hat - auch unter uns - eine lange Diskussion gegeben: über das Grundgesetz und seine Chancen, über das Verhältnis von Vaterlandsliebe, Patriotismus und Nationalismus. Ich glaube, dass Nationalismus und Separatismus Geschwister sind. Ich will nie ein Nationalist sein, aber ein Patriot wohl. Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt, ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet. Wir aber wollen ein Volk der guten Nachbarn sein, in Europa und in der Welt."

 

Machen wir uns nichts vor, nur wer sein Vaterland liebt, wer also eine eigene Identität hat, kann überhaupt den Schritt machen, der immer ja auch ein politischer Schritt ist, hin zu den anderen, um mit ihnen zusammen sich auf neue Wege zu begeben. Nur wenn ich weiß, wer ich bin und was ich möchte, kann erkennen, was der andere ist und was er will.

Wir erleben uns gerade in den Partnerschaften als unterschiedlich. Das macht diese Partnerschaften spannend. Wir erleben uns aber auch in vielen Dingen als ähnlich. Und geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude aber ist doppelte Freude.

 

Und so erfahren wir uns heute in Europa in erster Linie als Menschen, die mit denselben Problemen fertig werden müssen, mit allen Problemen und Fragen des Menschseins und der Humanität, mit den Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der Bildung unserer Jugend, der Arbeitswelt und der Arbeitslosigkeit.

 

Ich sagte, unsere kleine Welt hat sich verändert. Heute 10 Jahre nach Gründung eines Deutsch- Französischen Freundschaftskreises könnte ich mir unsere Roßtaler Bürgergesellschaft nicht mehr vorstellen, ohne die Erfahrungen durch unser gemeinsames europäisches Engagement, die wir auch als politische Gemeinde machen durften.

 

Mit dem europäischen Engagement hat sich manches auch in unserer kleinen Kommune verändert. Wir sind nicht nur offener geworden gegenüber Ausländern und Fremden.

 

Das Interesse unserer Schulen, insbesondere aber auch der Kirchen und Parteien an den Sorgen und Nöten in der Dritten Welt, aber auch in den ärmeren Ländern Europas war schon immer vorhanden. Flüchtlinge, wie die aus Bosnien, wurden mit offenen Armen von vielen hier aufgenommen, nachdem sich unser Roßtal nach dem Krieg durch Zuwanderung von Flüchtlingen und Vertriebenen bevölkerungsmäßig nicht zum ersten Mal in seiner Geschichte radikal veränderte. Aber nun geht diese Veränderung der Einstellung zu Europa und unseren Nachbarländern erstmals von der Gesellschaft, von der Bürgergesellschaft und unserer Kommune insgesamt aus. Sie wird uns nicht aufgedrückt von äußeren Umständen.

 

Sie bewirkt im Inneren, dass sich Menschen verschiedener Weltanschauung, unterschiedlicher Konfessionalität und Parteizugehörigkeit und unabhängig von ihren sonstigen Ausprägungen, Einstellungen, Interessen und Hobbies für die europäische Idee begeistern haben lassen. Nun sitzen plötzlich Menschen in Roßtal an einen Tisch, die vielleicht in dieser Zusammensetzung vorher kaum miteinander Beziehungen hatten oder suchten.

 

Ideen sind entwickelt worden, neue Formen der Freizeitgestaltung haben sich heraus entwickelt, neue Freundschaften unter den Roßtalern sind entstanden, Jung und Alt haben sich gefunden.

 

Und natürlich können wir nach fünf Jahren offizieller Partnerschaft mit Auzances in Frankreich heute feststellen, dass ein reger Austausch stattfindet, dass viele Freundschaften lebendig gestaltet sind und dass wir voneinander schon viel gelernt und übernommen haben.

 

In unserer Urkunde haben wir versprochen, alles zu unternehmen, was geeignet ist, unsere Mitbürger einander näherzubringen, damit das gegenseitige Verstehen und die Achtung voreinander vermehrt und gefestigt werden. Das ist uns gut gelungen. So gut, dass der Europarat uns heute für dieses und mehr, mit einem begehrten Preis auszeichnet.

 

Wir nehmen diese Auszeichnung als Ermutigung an, auf diesem Wege fort zu fahren. Und so freut es mich, dass auch mein Kollege René Kühn mit seiner Frau Kerstin aus Thalheim im Freistaat Sachsen heute bei dieser Feier anwesend ist. Denn mit der friedlichen Revolution in Deutschland, die sich morgen wieder einmal jährt, und dem Fall des eisernen Vorhangs ging in Europa auch der Staatsterrorismus kommunistischer Prägung zu Ende.

 

Ein neues Kapitel europäische Geschichte wird nun möglich. Denn auch hinter diesem Eisernen Vorhang lebten ja Europäer.

 

Wir gehen, was Europa betrifft, in ein spannendes Kapitel der Geschichte. Wir wollen auch als Kommune mit helfen, dass in Europa die Menschen in Frieden und Freiheit, aber auch in einem gesicherten Wohlstand leben können.

 

Einigkeit und Recht und Freiheit, wie es in unserer Nationalhymne der dritten Strophe des Deutschlandliedes heißt und die drei Säulen, die seit der französischen Revolution die Politik vielen Parteien, aber auch viele Verfassungen stützen, nämlich Freiheit im Sinne der Eigenverantwortung des Menschen , Gleichheit vor dem Gesetz und Brüderlichkeit im Sinne der Solidarität der Menschen sollen nicht nur in Frankreich und Deutschland Gültigkeit haben, sondern auch in allen Staaten, die sich zu Europa gehörig fühlen.

 

Sehr geehrte Frau Vorsitzende Schicker, der Markt Roßtal dankt dem Europarat für die ihm heute erwiesene Ehre sehr herzlich.

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